Ruhe bewahren und Nähe vermitteln: Zwei zentrale Aufgaben der psychosozialen Notfallhelfer, wenn sie Menschen in Ausnahmesituationen zur Seite stehen sollen. Aus dem roten Einsatzrucksack holt Wolf-Dieter Wöffler Dinge hervor, die er im Katastrophenfall braucht: Ein Päckchen Taschentücher, einen Stoffbären, eine Handpuppe, Süßigkeiten, Malstifte, Zigaretten und ein kleines Gebetbuch.

Man weiß nie was man braucht, wo man hinkommt, auf wen man trifft, wenn der Alarm über den Funkmeldeempfänger kommt. Alle Frauen und Männer, die zum kollegialen Austausch der Psychosozialen Notfallhelfer im Einsatzzentrum der Feuerwehr Weinheim zusammengekommen sind, wissen allerdings eines ganz sicher: Für diese Extremsituationen gibt es kein Lehrbuch.


Leben aus den Fugen


"Wir werden zu katastrophalen Situationen gerufen", sagt Wöfflers Kollege Thomas Knapp. Es kann sich um einen Fall von plötzlichem Kindstod drehen, um einen Selbstmord, um einen Bahn- oder Badeunfall, um eine Massenkarambolage auf der Autobahn oder einen Brand. Wenn Menschen auf tragische Weise verunglücken oder gar umkommen, gerät das Leben für Angehörige und Beteiligte in Bruchteilen von Sekunden aus den Fugen.


Dann ist es wichtig, wenn es Menschen am Unglücksort gibt, die zwar das Entsetzliche oder Unfassbare wahrnehmen, aber es schaffen, die Ruhe zu bewahren, die wichtige Entscheidungen treffen, Betroffene beruhigen, möglicherweise auch in den Arm nehmen und die versuchen, die Ohnmacht mit auszuhalten.


Grundlagen werden den Psychosozialen Notfallhelfern bei einem einwöchigen Grundkurs in der Landesfeuerwehrschule Bruchsal und bei einem weiteren Kurs an der Polizeiakademie in Freiburg vermittelt. Dann aber machen sie ihre eigenen Erfahrungen bei Einsätzen in Katastrophen- und Notfällen. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. 37 Frauen und Männer stehen derzeit im Rhein-Neckar-Kreis zur Verfügung, und sie fühlen sich längst ins Team von Feuerwehr und anderen Rettungskräften integriert. "Sie halten uns den Rücken frei, damit wir unseren Job machen können", sagt Ralf Mittelbach von der Weinheimer Feuerwehr.


Aber auch die Feuerwehrmänner selbst können das Gespräch und die Betreuung mit einem Psychosozialen Notfallhelfer in Anspruch nehmen. "Vor gut zehn Jahren wurde das noch skeptisch gesehen", erinnert sich Weinheims Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht. "Trink ein Bier, dann ist es schon wieder in Ordnung", hieß es damals nach heftigen Einsätzen. Aber mit einem Bier ist es danach nicht getan, weiß Albrecht aus eigener Erfahrung, denn einen seiner ersten Einsätze als aktiver Feuerwehrmann vergisst er sein Leben lang nicht, weil bei einem Autounfall die Eltern schwer verletzt wurden und ihre beiden Kinder ums Leben gekommen waren.


Gruppenbild SeelsorgerDamit sich nichts festfrisst in der Seele, damit nichts unausgesprochen und ungefühlt bleibt, dafür können Psychosoziale Notfallhelfer sorgen. Vor zehn Jahren hießen sie noch Rettungs- oder Feuerwehrseelsorger, weil eine Kooperation zwischen Kirche und Feuerwehr zugrunde lag. Inzwischen sind nicht nur Pfarrerinnen, Pfarrer oder Diakone bereit, "Erste Hilfe für die Seele" zu leisten. Auch Ingenieure, Polizisten oder Bademeister gehören zum engagierten Team. Die Weinheimer Feuerwehr leistete auf dem Gebiet ab 1999 Pionierarbeit, wie Reinhold Albrecht erklärt. Wolf-Dieter Wöffler war der erste Helfer, der sich zudem mit 30 Jahren auch noch spät einer kompletten Feuerwehrausbildung unterzog. Es folgte Thomas Knapp. Heute gehören auch die Sulzbacher Pfarrerin Agnes Seyferth, Gabriele Landler, Christel Apel, Pierre Gerodez, Alexander Helbig und Markus Höhnle dazu und bilden eine der größten psychosozialen Notfalleinheiten im gesamten Rhein-Neckar-Kreis.


Und wie verkraften die Helfer selbst diese Ausnahmesituationen? Indem sie versuchen, ganz bei sich zu bleiben, um die Kraft zum Trost aufbringen zu können. Immer klappt das nicht, und deshalb ist es wichtig, dass man sich untereinander unterhält, abklärt, ob jemand mal eine Pause braucht und dass die Helfer selbst durch Supervisoren unterstützt werden. Eines ist klar, betont Agnes Seyferth: "Wenn der Alarm kommt, muss man sich ehrlich sagen, ob man gerade so stabil ist, dass man diesen Auftrag ganz erfüllen kann." dra


Artikel Weinheimer Nachrichten vom: 26.04.2012


Sie leisten Erste Hilfe für die Seele


Trost durch SeelsorgerEin Notfallseelsorger tröstet eine Frau. Diese Aufnahme entstand nach dem Amoklauf in Winnenden. Auch im Rhein-Neckar-Kreis sind zahlreiche Notfallseelsorger im Einsatz - etwa nach schweren Verkehrsunfällen. Foto: Försterling


Von Karin Katzenberger-Ruf


Rhein-Neckar. Im Rucksack haben sie für ihren Einsatz eine Taschenlampe, Papiertaschentücher, Block und Kugelschreiber, Kuscheltiere sowie ein kleines Gebetbuch dabei. In dem Büchlein ist Psalm 22 abgedruckt. "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen" lauten die ersten Zeilen. Außerdem enthalten sind gebetsähnliche Texte, die die seelische Ausnahmesituation nach einem Unfall beschreiben. Im Detail geht es um Verstorbene, aber auch um "eingeklemmte Verletzte". An anderer Stelle sogar um Mord.


Wer braucht so etwas? Die "Notfallseelsorger" der Feuerwehr Weinheim, die wiederum in ein regionales Versorgungssystem eingebunden und dann zur Stelle sind, wenn etwas Schreckliches passiert ist. "Wir leisten Erste Hilfe für die Seele, aber wir reden vor Ort nicht über den lieben Gott", sagt Pierre Gerodez als Mitglied im achtköpfigen Team, das betreffs psychosozialer Notversorgung in erster Linie für den Bereich Bergstraße zuständig ist.


Wie die meisten seiner Kollegen schöpft er Kraft im christlichen Glauben und ist als Diakon tätig. Genau wie Tomas Knapp. "Wir erleben oft katastrophale Situationen", sagt er. Für sich selbst hat Knapp dennoch entschieden: Wenn er nach einem Einsatz nicht mehr einschlafen könnte, würde er aufhören.


Natürlich berühren ihn die Schicksalsschläge, die andere erleiden. Aber er zieht nach seinen Einsätzen einfach eine Grenze, um auch künftig Hilfe leisten zu können. Er muss richtig reagieren, wenn Angehörige gerade den Tod eines geliebten Menschen miterlebt haben und danach regelrecht ausrasten. Dass in dieser Situation jemand beten wollte, hat er übrigens nie erlebt.


Leiter der Notfallseelsorger aus Weinheim und Umgebung und zugleich der Jüngste im Team ist Wolf Dieter Wöffler. Der 41-Jährige ist in der Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg als Pastoralreferent tätig. Im Notfall geht es ihm zunächst einfach nur darum, anderen dabei zu helfen, die Situation aushalten zu können.


Im gesamten Rhein-Neckar-Kreis gibt es derzeit 37 Notfallseelsorger, knapp die Hälfte davon sind Frauen. Für Tomas Knapp ist auch die Kameradschaft innerhalb der Gruppe "gelebtes Christentum". Alexander Helbig, Polizeibeamter aus Mannheim und Markus Höhnle, Bademeister aus Hemsbach, kamen nicht über den Glauben, sondern eher über ihren Beruf zur Notfallseelsorge. Bei Helbig war es eine ganz persönliche Grenzerfahrung. In Ausübung seines Dienstes wäre er einst beinahe ums Leben gekommen, weil ihn jemand umbringen wollte.


Notfallseelsorger gehen in der Regel zu zweit an den Einsatzort. Die Einsätze werden normalerweise von der Rettungsleitstelle in Ladenburg angefordert. In Weinheim steht allerdings ein Einsatzfahrzeug bereit, das die Notfallseelsorger zum Einsatzort bringt.


Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht weiß als Leiter der Feuerwehr die Seelsorge sehr zu schätzen. Auch wenn es um "die eigenen Leute" geht, die nach manchen Einsätzen ganz schön geschafft sind und das Erlebte einfach nicht aus dem Kopf bekommen. Da helfen dann ein oder mehrere Gespräche mit dem "Notfallteam". Neuerdings kann die Feuerwehr bei ihren Einsätzen auch einen muslimischen Seelsorger zu Hilfe rufen. Reinhold Albrecht hatte bereits 1976 als junger Feuerwehrmann ein traumatisches Erlebnis.


Damals verlor ein Ehepaar aus Karlsruhe bei einem Autounfall auf der A 5 seine beiden Kinder. Nach einem heißen Sommertag waren die Reifen des Pkw geplatzt. Das furchtbare Geschehen musste Reinhold Albrecht damals ohne Hilfe von außen verarbeiten.


Quelle Rhein Neckar Zeitung